Gris (2018)

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©Noma­da Stu­di­os | ©Devol­ver
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    dero­fa Durch­schnitts­wer­tung - 9/10
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Her­aus­ra­gend

Mit “Gris” ver­öf­fent­lich­te das spa­ni­sche Ent­wick­ler­stu­dio “Noma­da Stu­di­os” aus dem son­ni­gen Bar­ce­lo­na im Jahr 2018 einen farb­ech­ten Indie-Hit unter Publis­her “Devol­ver Digital”.

Als das jun­ge Mäd­chen Gris, wer­det ihr in eine ergrau­te Welt ent­sandt. Die­ser ver­blass­ten Welt spie­le­risch wie­der Far­be und damit Leben ein­zu­hau­chen, wird zu eurer Aufgabe.

Was den geneig­ten Video­spiel­kul­tur-Lieb­ha­ber im Jump ’n’ Run erwar­tet und war­um sich der Plat­for­mer wun­der­bar eig­net, um sich der Fra­ge nach der künst­le­ri­schen Wer­tig­keit von Video­spie­len anzu­neh­men, ver­ra­ten wir in unse­rem Test.

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Gen­re: Action-Adven­ture, Jump ’n’ Run, Puz­zle, Side-Scrol­ler

Ori­gi­nal­ti­tel: Gris

Pro­duk­ti­ons­land: Spanien

Ent­wick­ler­stu­dio | Publis­her: Noma­da Stu­di­os | Devol­ver Digital

Musik: Ber­li­nist

Spiel­mo­dus: Einzelspieler

Spiel­zeit: ca. 3-4 Stun­den (Haupt­sto­ry), ca. 5-6 Stun­den (100%)

Spra­che: Vol­le deut­sche Lokalisierung

Platt­for­men: Play­Sta­ti­on 4, Nin­ten­do Switch, PC (Stand: 15.07.2021)

Alters­frei­ga­be: USK 6

Quel­len
https://de.wikipedia.org/wiki/Gris_(Computerspiel) | https://en.wikipedia.org/wiki/Gris | https://howlongtobeat.com/game?id=62257

Wer­tung:  

Test­platt­form: Nin­ten­do Switch

Autor: Jan­nik

Ver­fasst am: 11.07.2021

Lese­zeit: ca. 7 Minu­ten (Direkt zum Fazit)

Videospiele als Kunstform

Vom hässlichen Entlein zum Schwan

Wäh­rend Video­spie­le frü­her oft ein Nischen­da­sein fris­te­ten und vie­le Vor­ur­tei­le über sich erge­hen las­sen muss­ten, ste­hen sie im Jah­re 2021 schon in einem ganz ande­ren Licht. Das im Ver­gleich zu Fil­men noch rela­tiv jun­ge Unter­hal­tungs­me­di­um hat sich in den letz­ten bei­den Jahr­zehn­ten einem ste­ti­gen Wan­del unter­zo­gen und wahr­schein­lich so stark wei­ter­ent­wi­ckelt wie kein vergleichbares.

Heu­te sind Video­spie­le als Unter­hal­tungs­me­di­um in der Gesell­schaft schon viel brei­ter akzep­tiert. Der Ver­band der deut­schen Games-Bran­che “Game” hat dazu inter­es­san­te Sta­tis­ti­ken parat. Mitt­ler­wei­le spielt etwa jeder zwei­te in Deutsch­land Video­spie­le, wie aus dem Jah­res­re­port von 2019 her­vor geht.[1]

Sind Videospiele Kunst?

Doch in den letz­ten Ecken kon­ser­va­ti­ver Pflas­ter gibt es bestimmt noch jeman­den, der sich eher skep­tisch zeigt. Kil­ler­spiel- und Spiel­sucht-Debat­ten oder auch gefes­tig­te Vor­ur­tei­le las­sen sich schließ­lich nicht so leicht auf­bre­chen. Das Video­spie­le inzwi­schen welt­weit mehr Geld ein­brin­gen als die Film- und Musik­bran­che zusam­men, steht jeden­falls mitt­ler­wei­le Fel­sen­fest.[2] Aber sind Video­spie­le eigent­lich auch Kunst?

Wir hat­ten uns die Ant­wort bei unse­rer Recher­che zu die­sem beschei­de­nen Test von “Gris” ehr­lich gesagt schwie­ri­ger vor­ge­stellt. Bemüht man etwa die Defi­ni­ti­on von Kunst aus der guten alten Wiki­pe­dia, erhält man folgendes:

“Kunst ist ein mensch­li­ches Kul­tur­pro­dukt, das Ergeb­nis eines krea­ti­ven Pro­zes­ses. Das Kunst­werk steht meist am Ende die­ses Pro­zes­ses (…)”.[3]

Hmm, Video­spie­le sind also im Grun­de die Defi­ni­ti­on von Kunst schlecht­hin. Was die­ser klei­ne Exkurs ins Seriö­se mit “Gris” zu tun hat, schau­en wir uns im fol­gen­den genau­er an.

Zwei große “A”

Der Zusam­men­hang ist die­ser: “Gris” scheint sich nichts weni­ger als zwei gro­ße “A” auf die Fah­ne geschrie­ben zu haben. Das eine steht für “Art” - also die Kunst - das ande­re für “Atmo­sphä­re” - also die Stimmung.

Die spa­ni­schen Ent­wick­ler von “Noma­da Stu­di­os”, die übri­gens zufäl­li­ger­wei­se wie die Schöp­fer des tief­trau­ri­gen “Ari­se - A Simp­le Sto­ry” (2019), aus dem son­ni­gen Bar­ce­lo­na stam­men, ver­öf­fent­lich­ten mit ihrem Erst­lings­werk “Gris”, unter die­sem Kon­zept im Jahr 2018, wohl einen der ein­präg­sams­ten Indie-Titel der letz­ten Jahre.


Als Gris erwacht ihr zu Beginn in der Hand einer eben­so rie­si­gen wie brö­ckeln­den Statue

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©Noma­da Stu­di­os | ©Devol­ver | Quel­le: https://www.polygon.com/reviews/2018/11/8/18069254/gris-review-switch-pc-devolver-digital

Handlung - Von grau zu farbig

Ihr wer­det als das jun­ge Mäd­chen “Gris” (Gris = franz. für grau) in eine melier­te Welt ohne Far­ben ent­sandt. In die­ser ver­blass­ten, eige­nen Welt ist Gris ver­lo­ren. Laut den Ent­wick­lern von “Noma­da Stu­di­os” des­halb, weil sie schmerz­haf­te Erfah­run­gen in ihrem Leben durch­macht.[4]

Mit eurer Spiel­fi­gur erwacht ihr zu Beginn in der Hand­flä­che einer Sta­tue. Ver­mut­lich ein Eben­bild von euch selbst. Ihr habt zudem schein­bar eure Stim­me ver­lo­ren und könnt nicht mehr sin­gen. Als ihr schließ­lich zurück auf dem Boden ange­kom­men seid, erspäht ihr eine Archi­tek­tur die von Licht­punk­ten geprägt scheint.

Es war­ten vier zusam­men­hän­gen­de Orte auf Gris. Eure Auf­ga­be ist es vie­ler­lei Hür­den zu meis­tern, Licht­punk­te zu sam­meln und die Far­ben der Welt wie­der­her­zu­stel­len. Eine Beson­der­heit liegt in eurem Kleid ver­steckt. Im Ver­lau­fe des Spiels ver­leiht es euch mit­hil­fe der Licht­punk­te neue Fähig­kei­ten. So weist das Spiel, durch die zugrun­de­lie­gen­den Fähig­kei­ten, auf eine ganz eige­ne Art den Weg.


Wenn Gris genug Licht­punk­te gesam­melt hat, erge­ben die­se eine Ket­te. Inner­halb der abs­trak­ten Welt und Geschich­te, dient die­se Ver­bin­dung als Steg

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©Noma­da Stu­di­os | ©Devol­ver | Quel­le: https://www.altchar.com/reviews/review-gris-blurs-lines-between-games-and-art-alG3L3o8D945

Spielprinzip

Ein großes Gemälde

Ein wei­ßes Blatt, eini­ge Blei­stift-Lini­en und eine bun­te Farb­pa­let­te schei­nen die Aus­gangs­po­si­ti­on für das Jump ’n’ Run “Gris” zu sein.

Es ist ein Spiel wor­auf man sich erst­mal ein­las­sen muss. Zu Beginn zeigt es sich namens­ge­bend grau und trist. Ihr watet durch die­se Welt und ver­misst das, was ein schö­nes Spiel aus­macht - kräf­ti­ge Far­ben und umschmei­cheln­de Details.

Doch genau dar­in liegt die Stär­ke von “Gris”. Ihr selbst habt die Auf­ga­be die strah­len­de und war­me Umge­bung wie­der her­zu­stel­len, um damit Gris See­le zu fli­cken. Ihr seid Spie­ler und Bot­schaf­ter zugleich und bringt den schein­bar vor­ge­fer­tig­ten Blei­stift-Lini­en den herz­li­chen Anstrich zurück.

Auch die musi­ka­li­sche Unter­ma­lung von Ber­li­nist fügt sich da her­vor­ra­gend in das Gesamt­kon­zept ein und hat einen wesent­li­chen Anteil am Gefühl das “Gris” transportiert.

“Gris” kommt dabei ganz ohne HUD (Head-Up-Dis­play) aus. Das bedeu­tet ihr fin­det kei­ne Anzei­gen auf dem Bild­schirm, wie etwa eine Lebens­en­er­gie­leis­te. So zieht es euch direkt in sei­nen Bann und erschafft nach kur­zer Ein­ge­wöh­nungs­zeit eine Sogwirkung.


Gris dringt in die Tie­fen ihrer eige­nen Per­sön­lich­keit vor

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©Noma­da Stu­di­os | ©Devol­ver | Quel­le: https://vilihemmingsvn.tumblr.com/post/637596321260404737/gris-nomada-studio

Einfaches Gameplay

Spie­le­risch braucht es da, obwohl sich “Gris” im Jump ’n’ Run-Gen­re ansie­delt, gar kei­ne so gro­ßen Sprün­ge. Die Mecha­ni­ken sind ein­fach gehal­ten und nicht neu. Ihr schrei­tet in der klas­si­schen 2D-Side-Scrol­ler-Per­spek­ti­ve durch die Welt und habt vor­erst nur die Mög­lich­keit zu sprin­gen. Spä­ter gesel­len sich der Dop­pel­sprung, eine Art Hecht­sprung sowie eine Stampf­at­ta­cke hin­zu, bei der Gris die Form ihres Klei­des zu einem Block verändert.

Mit die­sem, aufs nötigs­te her­un­ter gebro­che­nen Grund­stock an Fähig­kei­ten, müsst ihr phy­sik­ba­sier­te Puz­zle lösen, die nie zu schwer aber auch nie zu ein­fach sind.

Inter­es­sant ist etwa auch, wie lang­sam die Spiel­fi­gur läuft. Sucht man zu Beginn ver­zwei­felt eine Sprint­tas­te, merkt man schnell, war­um das feh­len einer sol­chen Funk­ti­on kla­re Absicht der Ent­wick­ler ist. Ihr sollt die Welt ein­sau­gen und die Atmo­sphä­re spü­ren, um das Gefühl hin­ter “Gris” zu verstehen.


Die Ent­wick­ler von “Noma­da Stu­di­os” haben die Game­play-Mecha­ni­ken in “Gris” auf das nötigs­te her­un­ter gebrochen

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©Noma­da Stu­di­os | ©Devol­ver | Quel­le: https://www.neogaf.com/threads/top-10-lists-are-fun-here-is-the-ten-best-new-ips-from-the-current-generation.1542189/

Die male­ri­sche Stim­mung steht schließ­lich im Vor­der­grund. Ihr müsst genau die Umge­bung beob­ach­ten um euren Weg zu fin­den. Das hat etwas eige­nes im Gen­re, denn oft weiß man nicht so recht wo man über­haupt hin muss oder wel­che Area­le betret­bar sind und wel­che nicht. Eine gewis­se Abs­trakt­heit im Level­de­sign ver­stärkt die­sen Effekt noch.

“Gris” wirkt dabei oft wie eine län­ge­re Rei­se, bei der ihr auch mal ein Stück weit Stre­cke zurück­le­gen müsst, ohne wirk­lich etwas zu tun. Immer wie­der gibt es Area­le mit nur ein­fa­chen oder weni­gen Sprung­pas­sa­gen. Ver­mut­lich um euch das Gefühl einer wirk­li­chen Rei­se zu ver­mit­teln. Und es funktioniert.

Viel mehr ist “Gris” letzt­end­lich dann auch gar nicht. Und das ist nicht nega­tiv gemeint. Im Grun­de sind es simp­le aber künst­le­risch wert­vol­le Ver­satz­stü­cke, die zusam­men­ge­setzt ein gro­ßes spiel­ba­res Gemäl­de ergeben.


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Kritikpunkt - Noch mehr Farbe

Gris ist außer­ge­wöhn­lich stim­mungs­voll und wir fan­den auch nach reich­li­cher Über­le­gung kei­ne wirk­li­chen Kritikpunkte.

Wenn man dem Jump ’n’ Run unbe­dingt etwas vor­wer­fen möch­te, was wir eigent­lich gar nicht möch­ten, dann dass es trotz einem wun­der­schö­nen und sinn­vol­len Ende, beson­ders spie­le­risch nicht voll­ends abge­run­det wirkt. Viel mehr macht es den Anschein, als wäre noch viel mehr drin gewe­sen. Mit einer Spiel­zeit von nur ca. 3-4 Stun­den und den weni­gen Grund­me­cha­ni­ken, fehlt es ein­fach ein wenig am Umfang, gera­de weil die wun­der­ba­re Welt und das Spiel­prin­zip so ein­neh­mend sind.

Das Poten­ti­al für wenigs­tens ein paar wei­te­re Far­ben, die es zu ent­de­cken gilt oder Fähig­kei­ten, wie z.B. Wand­sprün­ge, wäre mehr als vor­han­den gewe­sen. Wei­te­re Spiel­me­cha­ni­ken aus dem Fun­dus der Platt­form-Games hät­ten imple­men­tiert wer­den kön­nen. Zuge­ge­ben, dies hängt natür­lich auch mit dem Bud­get und ande­ren ähn­li­chen Fak­to­ren zusam­men. Trotz­dem muss sich ein Werk auch immer dar­an mes­sen las­sen, was es hät­te leis­ten kön­nen. Denn als ihr euch gera­de warm gespielt und in die Welt ver­liebt habt, da ist das Aben­teu­er auch schon wie­der beendet.

Doch will man “Gris” das wirk­lich vor­wer­fen? Es gab schließ­lich nichts, was wir auf die­sem außer­ge­wöhn­li­chen Aus­flug ver­misst haben.


Ger­ne mehr davon - “Gris” trägt viel Poten­ti­al für wei­te­re beson­de­re Momen­te in sich

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Fazit - Entschleunigendes Videospiel-Kleinod

Der Indie-Plat­for­mer “Gris” ist ein außer­ge­wöhn­li­ches Video­spiel. Sein zen­tra­les Ele­ment ist die Wir­kung, Prä­senz und Aus­strah­lung. Dabei nutzt es nur die wesent­lichs­ten Grund­me­cha­ni­ken des Gen­res und hät­te viel Poten­ti­al für mehr bezau­bern­de Spiel­stun­den gehabt. “Noma­da Stu­di­os” ver­spre­chen auf ihrer Home­page “eine ruhi­ge und ein­drucks­vol­le Erzäh­ler­fah­rung”. Und dies trifft es auf den Punkt!

Wäh­rend ihr in der Welt von “Gris” Stre­cke zurück legt, zeigt sich das Spiel als gro­ßes Gemäl­de was erkun­det und damit zum Leben erweckt wer­den will. Wäh­rend man in ande­ren Jump ’n’ Run’s häu­fig das Gefühl hat sich nicht ver­ir­ren zu dür­fen, kann man sich in “Gris” ein­fach trei­ben las­sen, ohne nur einen ein­zi­gen Bild­schirm­tod zu ster­ben. Und trotz­dem wirkt die Welt nicht line­ar, son­dern weit offen. Manch­mal fehlt einem ein wenig die Ori­en­tie­rung. Aber man kommt trotz­dem immer ans Ziel.

All dies sorgt dafür, dass “Gris” unge­mein ent­schleu­ni­gend wirkt, was durch die her­vor­ra­gend aus­ge­wähl­te Musik von Ber­li­nist, die Ein­gangs sub­til und spä­ter warm und inten­siv das Spiel­ge­sche­hen unter­malt, noch ver­stärkt wird.


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Nun - und was hat das alles jetzt mit Kunst zu tun? “Gris” reiht sich in die vie­len außer­ge­wöhn­li­chen Video­spie­le ein, die heu­te immer wie­der ver­su­chen das Gen­re suk­zes­si­ve auf­zu­bre­chen. Neben lang­wei­li­gen Top-Sel­lern auch lei­se stim­men zu Wort kom­men las­sen. Die als Kunst­werk für sich spre­chen und damit non­ver­bal mehr Aus­sa­gen, als so manch ande­re Unter­hal­tungs­me­di­en verbal.

Und schließ­lich defi­niert die Ein­gangs erwähn­te Wiki­pe­dia: “Kunst ist ein mensch­li­ches Kul­tur­pro­dukt, das Ergeb­nis eines krea­ti­ven Pro­zes­ses.” Tja - und genau das ist “Gris”. Ein Video­spiel-Klein­od, wel­ches nur Kul­tur­ba­nau­sen nicht gut fin­den können!


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Trailer

Der offi­zi­el­le Launch-Trai­ler zu “Gris”

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